2. Text zu H201415M – Ausscharre des z
Odin ist unser Vergil und führt uns diesmal in zwei unterschiedene Zeiten. Seine Sängerin: Pandora; ist diese doch im Namen eines seiner vielen Gesichter – des Schwagers Zeus – entsprungen. Mit ihr, der All- Begabten, endete das erste goldene Zeitalter der Menschen, die Freundschaft mit den Göttern, Einfalt und Langeweile. Zu schön war sie und er zu sehr Mensch als Tier oder Titan, als dass der Epimetheus, nachsagender Bruder des Feuerbringers, ihren Reizen nicht erlegen wäre. Nun denn, Odin führt, in Gestalt eines Kindes blickt er in zwei Räume. Auf drei Inseln und in einen Wald, der aus fünf neun macht und von einer Fontäne erhellt ist. Die Bäume zum Wald an einem Bachlauf sind den Baumgeistern, Kindern des ersten Vatermords der Geschichte, zugeeignet. Die Dryaden, tänzerisch- neckische Spielerinnen, und H201515M bringen in diesem Raum den alchemistischen Leitgedanken Wie oben so auch unten zum Tragen. Doch eigentlich ist es viel zu dunkel um das nächtliche Lager zu stören.
Ein blauer Vorhang – „Neptune watching“ – verbindet beide Räume und führt uns auf zwei der Bühnen des Book of Death. Das umfangreiche Buch, an dem der Essayist seit drei Jahren arbeitet, besteht aus Kapiteln, die wiederum eine bis drei seiner Dichtungsgraphien, zeigen: Die Römerin Nox lagert immer noch; aber warum wartet sie vor den Pforten des Pluto? Klopft die Nacht etwa am Hades, wie Manero als Titelgeber suggeriert? Nox at the Doors of Plutonium. Vielleicht ist sie dort nicht mehr erwünscht und wurde verbannt oder – es scheint wahrscheinlicher – sie wurde aus unserer Zeit durch ein gleißendes Licht vertrieben. Erwartet Asyl. Die Nacht ist Dämmerung und Morgenröte zugleich strukturell unmöglich daher das was dazwischen liegt.
Die Bilder beantworten uns diese Fragen nicht, warum sollten sie auch? Die Kunst, weder Megaphon noch reines Medium, hat den Vorzug vom Subjekt besetzt werden zu dürfen. Unkontrollierbar, aber doch unter der Ägide ihrer Schöpferinnen. In unserem Fall H201415M. Dieser verdeutlicht uns möglicherweise, dass Bühnen der Inszenierung von Alltäglichem dienen und das Desillusion nicht unbedingt den Zauber rauben muss, sondern diesen nur wandelt in die Bewunderung der Inszenierungen eben jener Verhältnisse. Denn dies macht unser ehemaliger Künstler und tut dabei nicht schlecht daran, ein paar eigene Dämonen zu visualisieren.
Manero lässt uns mit dieser Ausstellung, die man als ein zusammenhängendes Stück verstehen kann, einen
Blick in seinen eigenen Kosmos werfen und lädt ein, sich auf die Suche zu machen. Die Instrumente, die wir
für eine solche haben, sind jedoch unzureichend. Unzureichend, aber sorglos denn glücklich, wenn sie
Reichtum erzeugen können.
Und so lassen sich auch die Arbeiten des freiwillig en Verneiners aus verschiedenen Richtungen lesen.
Formal, inhaltlich, assoziativ. Kunsthistorisch sehen wir opernhafte Inszenierungen, die gleichzeitig mit
einem stark medienreflexiven Gestus die eigenen Produktionsbedingungen und ihren Verlauf offen legen.
Ein modernistischer Zug. Mit seinen biomorphen Formen mag er Anklang an den Surrealismus nehmen.
Doch fordert das Symbolistische seiner mythologischen Inszenierungen uns, sich einer klassischen Bildung
zuzuwenden. Nicht als Selbstzweck, sondern im Bewusstsein, wie er sagt, dass die Geschichten, die wir
erzählen, Repräsentationen sowohl eines Vorher als auch eines Nachher unserer selbst sind. Dass wir dabei
von seiner pathetischen Eloquenz, betörend und sinnlich, getragen werden, ist Wegzehrung.
Die Lage ist jene, dass Odin wieder ruft und Manero feststellt, dass dieser Odin nicht nur nordischer Gottvater, sondern auch das Kind der Zukunft sei: Von ihm kommen die Gaben des Geistes. Alle Fähigkeiten des Menschen, die mehr der Klugheit oder der List als den Kräften des Körpers zu verdanken sind, entspringen seiner Gunst und seinem Vorbild. Der mächtige Blick aus der Vergangenheit ist uns aus dieser Perspektive dann ein Ausgeliefertsein aus der Zukunft und man kann nachvollziehen, dass die kleine Ausstellung kugelige Gegensätze aneinanderfügen will. Mysterienspiel eines Essentialisten gleich Gespenstergeschichten für ganz Erwachsene.
Julian Malte Schindele